Was wenn ich als Führungskraft nicht die coachende Rolle übernehmen will/kann?
- Irene Timmers
- 13. Juni
- 7 Min. Lesezeit
Wenn der Umsatz nicht stimmt, wenn Menschen sich in den Unternehmen überfordert fühlen oder wenn es immer wieder zu Konflikten kommt, höre ich vielfach in Gesprächen, dass es an den Führungskräften in den Unternehmen liegt. Die Forderung lautet: Die Führungskraft soll ihre Mitarbeitenden coachen, eine offene Fehlerkultur einführen und den Mitarbeitenden mehr Verantwortung geben.
Doch diese Forderung ist zu kurz gegriffen. Wenn ein Unternehmen bisher in einer hierarchischen, eher klassischen Art und Weise agiert hat, wird es schwer, den Hebel einfach umzulegen.
Denn als Führungskraft bewege ich mich in dem Dreieck Unternehmenskultur, Teamkultur und dem individuellen Rahmen. Und ähnlich dem magischen Dreieck aus dem Projektmanagement gilt es, ein Gleichgewicht zu halten.

Was bedeuten die 3 Ecken
Unternehmenskultur
Die Unternehmenskultur wird geprägt durch das Verhalten, die Haltung und die Werte der im Unternehmen arbeitenden Menschen. Das bedeutet: wie wir denken und handeln, wie wir miteinander umgehen und zusammenarbeiten, dass macht eine Unternehmenskultur aus. Und das wächst über die Jahre, es etablieren sich bestimmte „typische“ Verhaltensweisen, die jede Person im Unternehmen kennt und beachtet.
Teamgefüge
Ein Team besteht aus seinen individuellen Teammitgliedern. Jedes Mitglied bringt einen individuellen Aspekt mit, bestehend aus eigenen persönlichen Eigenschaften, privaten und beruflichen Erfahrungen, Erziehung und fachlicher Expertise. Diese prägen das Team und wie es miteinander umgeht. Es entsteht zusätzlich zur Unternehmenskultur, die einen Rahmen gibt, eine eigene Teamkultur.
Individueller Rahmen
Auch die Führungskraft bringt individuelle Aspekte mit und prägt damit das Team. Die Führungskraft hat zusätzlich zur Rolle als Teammitglied die Vorgesetztenrolle inne. Sie verkörpert eine Art Vorreiter und Vorbild und hat damit i.d.R. einen stärkeren Effekt auf die Unternehmens- und Teamkultur als ein Teammitglied.
Warum funktioniert der Change nicht mit „einfach mal den Hebel umlegen“
Wir haben die Tendenz uns mit Menschen zu umgehen, die eine ähnliche Haltung und ähnliche Werte haben. Im Laufe der Zeit kommen also Menschen ins Unternehmen hinzu, die zum Unternehmen „passen“. Damit werden die eigenen Meinungen, Haltungen und Werte bestätigt: „Es gibt noch mehr Menschen, die genau so oder ähnlich denken und handeln. Damit sind wir „richtig“ und können gemeinsam, „harmonisch“ unsere Vorhaben voranbringen.“
Das Unternehmen hat die Notwendigkeit sich zu verändern (z.B. Aufgrund Umsatzeinbuße, Fachkräftemangel, Bedarf an Digitalisierung). Jedoch steht das Verhalten und die Haltung der Mitarbeitenden diesen Veränderungen im Weg, da sie das Bestreben haben, ihre Verhaltenskultur aufrecht zu erhalten (= Besitzwahrung).
Wenn ich jetzt als Unternehmensführung mit voller Kraft voraus den Hebel umlege, ernte ich entsprechend vollen Widerstand.
Warum fällt Veränderung in Unternehmen so schwer
Denken wir uns mal in eine Situation hinein: Ein Einbrecher verschafft sich Zugang zu meinem zu Hause. Dann habe ich i.d.R. folgende Tendenzen:
Ich schreie um Hilfe (Rufe die Polizei) und versuche zu flüchten oder mich zu verstecken
· Ich wehre den Einbrecher ab und greife ihn ggfs. an.
Übertragen wir das nun auf ein Unternehmen, finden wir genau diese Verhaltensweisen wieder:
Menschen, die sagen, dass jemand etwas tun müsse (= Ruf die Polizei)
Menschen, die ihre Arbeit machen und möglichst nicht auffallen wollen (= verstecken)
Menschen, die kündigen und das Unternehmen wechseln (= fliehen)
Menschen, die aktiv gegen die Veränderungen angehen und alles boykottieren (= sich wehren, angreifen)
Vermutlich kommen nur sehr wenige auf die Idee, mit dem Einbrecher ins Gespräch zu kommen und ihn zu fragen, was er denn braucht und mit ihm zu verhandeln – denn ich will ja mein Eigentum behalten.
Doch genau das verlangen Unternehmen von ihren Führungskräften, wenn sie von ihnen verlangen, in eine coachende Rolle zu gehen und die Verantwortung den Mitarbeitenden übertragen sollen. Übersetzt heißt dies: Werft Euer bisheriges Verhalten über Bord und die bisherige Unternehmenskultur gleich mit und macht es ab heute vollkommen anders.
Zugegeben, es ist überspitzt formuliert. Jedoch wird vielfach übersehen, dass Menschen in Unternehmen arbeiten, in denen sie sich grundsätzlich wohl fühlen und mit dessen Werten und Haltung (also der der anderen im Unternehmen arbeitenden Menschen) einhergehen. Und dazu zählen auch die Führungskräfte. Und das ist ihr „Besitz“, den sie wahren möchten. Denn damit fühlen sie sich wohl.
Was sich verändernden Kräfte bewirken
Schauen wir nochmals auf das Kulturdreieck: Wenn sich an einen der drei Ecken etwas verändert, hat dies Auswirkung auf die anderen Ecken.
Ich übertrage das obige Beispiel in den Unternehmenskontext: Ich lasse die Mitarbeitenden die Meetings selbst gestalten. Sie führen eine Agenda und ein austauschendes Format als Intro ein. Die Teilnehmenden empfinden die Meetings wirksamer. Diese Teammitglieder sind auch Teilnehmende anderer Meetings. Da sie einen Mehrwert in der neuen Meetingstruktur sehen, nehmen sie diese in die anderen Meetings mit. Wenn die neue Meetingstruktur dort ebenfalls angenommen wird, kommt es zu einer Veränderung in der Unternehmenskultur.
In einem Unternehmen arbeiten i.d.R. auch Menschen, die bereit sind, sich auf eine Veränderung einzulassen oder sogar bereit sind, sie aktiv voranzutreiben.
Damit entstehen zwei sich entgegengesetzt erscheinende Richtungen: die Kraft, die das Bestehende bewahren und stabil halten möchte, und die Kraft, die verändern und entwickeln möchte. Und hier kommt das Dreieck von oben ins Spiel: Um ein Gleichgewicht der Kräfte im Dreieck zu erhalten, braucht es beides:
Menschen, die das Unternehmen stabil und zuverlässig halten. Sie fühlen sich häufig wohl, wenn in den bisherigen (häufig hierarchischen) Strukturen geführt und gearbeitet wird.
Menschen, die etwas ausprobieren und sich auf den Weg machen wollen. Diese fühlen sich eher mit einer Selbstorganisation wohl – da sie dies jedoch nicht als solches gewohnt sind, möchten sie an diese neue Arbeitsweise herangeführt werden (als eine Art Airbag)
(Ich bin mir bewusst, dass es eine Vielzahl an Menschen gibt, die die gesamte Bandbreite dazwischen mit den jeweiligen Ausprägungen und Mischformen bespielen. Dies blende ich im Weiteren aus, um dieses komplexe Thema zu vereinfachen.)
Das Verhalten der Mitarbeitenden folgt der jeweiligen Rolle
Treibe ich als Unternehmen also eine Veränderung massiv voran ohne das Kulturdreieck zu berücksichtigen, droht es auseinanderzubrechen. Daher werden für die unterschiedlich wirkenden Kräfte auch unterschiedliche Führungsstile benötigt:
Mit coachenden Rollen schaffe ich die Voraussetzung und den Rahmen, dass sich Menschen im Unternehmen in die Veränderung begeben. Sie entwickeln sich in Richtung zielorientiertem und selbstorganisiertem Arbeiten und können, in ihrem Tempo, mehr und mehr in die Verantwortung gehen.
Mit den klassischen Rollen schaffe ich die Grundlage für Stabilität und Zuverlässigkeit im Unternehmen. Die Menschen im Unternehmen können sich auf bestimmte Prozesse und Abläufe verlassen. Das entlastet und schafft Vertrauen.
Betrachten wir an dieser Stelle das Kulturdreieck: Für die veränderungsbereiten Menschen ist der Rahmen für Veränderung geschaffen, sie fühlen sich geführt und wachsen sukzessive in die neuen Rollen hinein. Die die Kultur bewahrenden Menschen können die Veränderung aus der sicheren Position der Gewohnheit betrachten und begleiten. Sie sorgen gleichzeitig für Stabilität und Kontinuität.
D.h. ich akzeptiere zunächst, dass es sowohl bewahrende als auch verändernde Kräfte gibt, und damit Führungskräfte mit unterschiedlichen Führungsstilen.
Das Gleichgewicht im Kulturdreieck schaffe ich, wenn die jeweiligen Kräfte im Gespräch bleiben. Und dies gelingt über verbindende Brücken zwischen den Kräften: Schnittstellen.
Der gemeinsame Raum
Für mich als Führungskraft bedeutet das, dass ich zumindest eine gewisse Offenheit für Veränderungen mitbringe:
Denn: in der Veränderung zu bewahren und zu stabilisieren, heißt nicht an bisherigem Verhalten festzuhalten, sondern Fragen zu stellen:
Was brauchen die Mitarbeitenden, um stabil weiterzuarbeiten
Was brauchen die Führungskräfte und Teams, die für die Stabilität und Kontinuität sorgen
Was brauchen die Mitarbeitenden, um sich einer Veränderung zu öffnen (egal wie klein sie ist)
Was brauchen die Führungskräfte und Teams, die die Veränderung vorantreiben, um erfolgreich zu sein
Beide Kräfte haben ihre Berechtigung und benötigen die Akzeptanz der jeweils anderen Kraft. Über die Fragen wird die Schnittstelle definiert, die als Brücke fungiert und jederzeit offen sein sollte für Menschen, die wechseln wollen (egal in welche Richtung).
Und damit wird letztlich der Raum geschaffen, den Besitz (= die bisherigen Kultur) loszulassen und sich auf eine neue Kultur einzulassen.
Eine kleine Randbemerkung zur klassischen Führung
Ich lasse in meinen Trainings die Teilnehmenden zum Thema Agiles Projektmanagement gerne eine Übung machen: Die Aufgabe lautet: Male eine Sommerwiese, dabei erhält eine Gruppe eine konkrete Anweisung (Male eine Sonne in die linke obere Ecke als Viertelkreis mit 5 Strahlen, male 5 rote Blumen mit je 5 Blütenblättern …) und die andere Gruppe erhält eine ungefähre Aufgabenbeschreibung (Male eine Sommerwiese mit Blumen, Kühen, Gras und einer Sonne…).
Regelmäßig kommt die Rückmeldung, dass das Bild mit der ungefähren Beschreibung viel lebendiger ist, in der Ausführung viel mehr Spaß machte und die Teilnehmenden häufig schneller fertig sind. Beim anderen Bild kommt die Rückmeldung, dass es viel „systematischer“ gemalt ist, die Teilnehmenden während der Aufgabe sich gehetzt fühlten und ständig nachzählen müssten, ob sie die Aufgabe auch der Aufgabenbeschreibung gemäß ausgeführt haben.
In dem einer Person das Ziel klar ist (ich male eine Sommerwiese) und sie die Kriterien darum weiß (wann fühlt es sich wie eine Sommerwiese an), fällt es der Person leichter, die notwendigen Schritte zu definieren (ich male eine Kuh links und ein paar Blumen davor und zwei Kühe in die Mitte mit mehr Blumen drumherum …). Ihr fällt es auch leichter, zwischendurch innezuhalten und das (Zwischen-) Ergebnis zu überprüfen, ob es noch zum Endziel passt und ggfs. anzupassen (… und eine Sonne in die obere rechte Ecke).
Das führt zu Folgendem:
Selbstorganisiertes Arbeiten (ich entscheide, was es braucht, das Ziel zu erreichen)
Entlastung der Führungskraft, weil sie nicht mehr alle (!) Schritte aufzeigen muss
Ein (iteratives) Vorgehen, dass ermöglicht, im Prozess anzupassen (statt das Ergebnis zu erhalten und festzustellen, dass es falsch ist).
Probieren Sie es einmal aus 😊
Veränderung beginnt mit Klarheit und einem echten Blick nach innen.

Und ich begleite Sie dabei, genau hinzuschauen:
Was darf verändert werden im Team, in der Führung, in den Strukturen? Denn wenn Sie nachhaltigen Wandel möchten, entsteht dieser durch tiefen Fokus.
Wenn Sie also mehr Balance und Wirksamkeit während des Veränderungsprozesses möchten, dann lade ich Sie herzlich zu einem persönlichen Gespräch ein. Zusammen sprechen wir über:
Was sie verändern möchten
Was Sie aktuell herausfordert
Welche Möglichkeiten durch die Veränderung auf Sie warten
Gerne können Sie mich auch direkt anrufen oder mir eine Mail senden.
T. 01 72 / 6 43 44 24